HALLO,
hinter einer Sicherheitsschleuse, die in eine fensterlose Halle auf dem Campus der Universität Bremen führt, greift Andreas Kunzmann nach der Nahrung der Zukunft.
Sein Arm fährt bis zum Ellbogen in einen von UV-Licht bestrahlten Tank, sucht kurz, packt schließlich ein Wesen mit einem linsenförmigen, geleeartigen Körper. Mit in alle Richtungen zappelnden
Tentakeln verlässt es in Kunzmanns geschlossener Hand seinen künstlichen Lebensraum. Wir wollen die Ernährungsgewohnheiten der Europäer verändern
, sagt Kunzmann, während er die Mangrovenqualle
in den Tiefkühlschrank legt. Wenig später wird er sie wieder herausholen und für einen Salat nach japanischer Art in Streifen schneiden.*
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Abend des 9. März 1923 macht sich Bill Smith in seinem Studebaker-Sechszylinder auf den Heimweg. Smith, ein ehemaliger Pferdedieb Anfang dreißig, hat auf der Ranch eines Bekannten schwarzgebrannten Whisky besorgt, nun fährt er zurück in das Städtchen Fairfax, Oklahoma. Der Ort liegt im Osage County im Norden des US-Bundesstaats, der Heimat der gleichnamigen indigenen Gemeinschaft. Von den Fördertürmen im Umland weht der Geruch von Öl zu Smith herüber, als er seinen Wagen an den Baracken der Arbeiter und an mehrstöckigen Villen vorbeilenkt. Auf deren Dächern und Fensterbänken, über Türen und Hintereingängen strahlen zahllose Glühbirnen. Die Einwohner von Fairfax nennen sie Angstlichter. Auch Smith und seine Frau Rita, eine Osage, wohnen in einem großzügigen Haus mit Veranda und ausladenden Giebeln. Und auch sie fürchten die Dunkelheit, leben in ständiger Angst. Denn von den gut 2200 Osage sind binnen weniger Jahre mehr als ein Dutzend erschossen worden oder unter unerklärlichen Umständen verstorben. Jeder im County ahnt mittlerweile wohl, weshalb: Das Land der der Osage birgt gewaltige Mengen an Erdöl.*
* oben der Anfang einer Reportage über Quallen als Nahrungsmittel, erschienen im September 2024 im Leibniz-Magazin, unten der einer Rekonstruktion der Öl-Morde an den Osage, erschienen im Oktober 2024 bei Geo Epoche